Definition von Gruppendynamik
Wo finden wir Gruppen?
Gruppen sind überall dort zu finden, wo mehrere Menschen über längere Zeiträume öfter zusammenkommen und in Interaktion treten. Gruppen entstehen im privaten Umfeld (z.B. Freundeskreise, Stammtische, in vielen sportlichen Betätigungen), wie auch in Organisationen (z.B. Gremien, Abteilungen, Teams, etc.). Es handelt sich bei Gruppen um soziale Konstellationen überschaubarer Größe, bei welchen jeder Akteur und jede Akteurin mit allen anderen in Verbindung treten können. Manche Gruppen treffen sich regelmäßig, andere in größeren Zeitabständen. Manche brauchen mehr, andere weniger Zeit sich zu entwickeln. Die Teilnehmenden verstehen sich als „Mitglieder“ der Gruppe, wodurch eine Grenzziehung zu anderen Personen und sozialen Einheiten vorgenommen und eine Art gemeinsamer „Gruppenidentität“ erkennbar wird: Ein „Wir“, das sich von „den anderen“ unterscheidet.
Was ist Gruppendynamik?
Im Laufe der Zeit und im Zuge verschiedenster Beiträge der Gruppenmitglieder werden Phänomene erkennbar, die auf die internen Beziehungen Einfluss ausüben. Gemeinsamkeiten und Unterschiede im wahrgenommenen Verhalten der Teilnehmenden liefern den Akteuren in einer Gruppe manchmal bekannte und manchmal überraschende Beobachtungen.
Das Zusammenwirken hat Einfluss auf die Beziehungen der Teilnehmenden untereinander: Zustimmung und Sympathie, eine unkomplizierte und als problemlos wahrgenommene Situation, sowie eine auf breiter Basis gut gelingende Entscheidungsfindung stehen Widersprüchen und Ablehnungen, aufwändig gestalteten und mühsam erlebten Prozessen, sowie kompliziert erarbeiteten und wenig zufriedenstellenden Resultaten gegenüber.
Manchmal kooperieren die Mitglieder wie selbstverständlich, zu anderen Gelegenheiten stoßen die unterschiedlichen Beiträge auf Wettbewerb und Konkurrenz. Versuchen Individuen Einfluss auf das Geschehen auszuüben, so gehen die einen mit großer Dankbarkeit mit, die anderen hingegen beobachten solches Verhalten misstrauisch und ablehnend.
Gemeinsame Entscheidungsfindungen scheitern nicht selten an individuellen Präferenzen, Erwartungshaltungen und Zielvorstellungen. Schließlich finden sich Individuen in Gruppen oft einem hohen Erwartungsdruck ausgesetzt, sich in den je eigenen, individuellen Einstellungen und Verhaltensweisen anzupassen und mit der Gruppenmeinung konform zu sein.
Das Erleben von Zugehörigkeit, Vertrauen und Beziehungssicherheit innerhalb eines differenzierten Rollengefüges kann für Individuen zu dem Gefühl führen, als „ganzer Mensch“ in dieser Gruppe gefragt und angenommen zu sein. Gruppen sind Interaktionssysteme, die – im Gegensatz zu Organisationen – sehr personen-nah gebaut sind. Das affektive Geschehen in der Gruppe bekommt eine hohe und unmittelbare Relevanz für die einzelnen. Dieses Merkmal kann einerseits zu emotional aufgeladenen Differenzierungen zwischen den Teilnehmenden führen und ermöglicht andererseits intensive Erfahrungen von gemeinsamer sinnerfüllter Produktivkraft.
Jede Gruppe ist anders und man kann sich selten sicher sein, welche Phänomene beobachtbar sind, welche Mechanismen entstehen und wie die Gruppe reagiert. Dies alles kann man als jene Dynamiken beschreiben, die in Gruppen entstehen.
Für einen adäquaten Umgang mit den angesprochenen Dynamiken wird ein gehöriges Maß an Sozialkompetenzen benötig, die in gruppendynamischen Trainingsgruppen erlernbar sind.
Was ist die gruppendynamische Trainingsgruppe?
Seit seiner Entwicklung in den USA 1946 ist das Format der (gruppendynamischen) Trainingsgruppe (T-Gruppe) der zentrale Ort, an dem man sich Kompetenzen für die Beobachtung und den Umgang gruppendynamischer Prozesse aneignen kann.
Die T-Gruppe ist ein Weiterbildungsformat, bei dem Teilnehmer*innen die Entwicklung einer Gruppe vom ersten Zusammentreffen bis zu ihrem Ende beobachten und erleben können. Die Teilnehmer*innen, die sich wenig oder am besten gar nicht aus früheren Lebenszusammenhängen kennen, bilden gemeinsam mit einem Trainer oder einer Trainerin Gruppen von 8-12 Personen. Diese Gruppen machen sich in mehreren Sitzungen im Laufe einer Woche konsequent selbst zum Thema. Sie untersuchen anhand ihres eigenen Beispiels, wie Gruppen sich entwickeln, welche Prozesse dabei zu beobachten sind, welche Strukturen sich dabei herauskristallisieren, welche Rollen sich verfestigen oder wieder auflösen und vieles mehr.
Teilnehmer*innen von T-Gruppen blicken also hinter die Kulissen von Dynamiken und Prozessen, während sie an diesen selbst mitwirken und somit auch selbst durchleben. Dadurch gewinnen sie Verständnis für Zusammenhänge und Wirkkräfte in sozialen Gefügen – und die eigenen Beiträge dazu. Durch die Sensibilisierung der Wahrnehmung in Bezug auf sich selbst im Zusammenspiel mit den anderen wird ein persönliches Lernpotenzial eröffnet, das anspruchsvoll und nicht so leicht zu überbieten ist.
Anwendungsfelder der Gruppendynamik
Soziale Prozesse finden überall dort statt, wo kommuniziert wird. Darüber hinaus gibt es einige Felder sozialen Wirkens, in denen die Gestaltung solcher Prozesse besonders erfolgsrelevant ist. In all diesen Feldern hat die Gruppendynamik als Wissenschaft und Lernformat ihre Spuren hinterlassen, indem sie die Gesetzmäßigkeiten und Wirkkräfte des sozialen Geschehens erforscht und gleichzeitig Instrumente dafür anbietet, sich darin besser zurechtzufinden und zielgerichteter zu verhalten.
Das Interesse, gruppendynamischen Phänomene näher zu untersuchen, geht auf Kurt Lewins Ansatz der Aktionsforschung („Action Research“) zurück. Ausgangslage war die empirische Untersuchung der hier beschriebenen Verhältnisse und die Erarbeitung entsprechender theoretischer Erkenntnisse, die für Praktiker hilfreiche Orientierungen geben können. Eine Besonderheit der wissenschaftlichen Annäherung war und ist, dass man sich als Forscher den Verhältnissen, die man untersuchen möchte, selbst aussetzen muss, um sie zu begreifen.
Das deutet bereits stark auf den aufklärerischen und emanzipatorischen Anspruch hin, den die Gruppendynamik seit ihrer Entstehung innehat. Den Pionieren der Gruppendynamik ging es um Demokratielernen, Solidarität, das Verständnis von Affekten in Gruppen und das Verhältnis von Autorität und Selbststeuerung in Gruppen und Organisationen. All diese Forderungen haben nichts an Aktualität eingebüßt. Man denke nur an die jüngsten Tendenzen hin zu selbststeuernden Organisationen vor dem Hintergrund eines immer komplexer werdenden wirtschaftlichen Umfelds. Oder an die beobachtbare Rehierarchisierung in der Politik vor dem Hintergrund immer bedrohlicher klingender Zukunftsentwürfe.
Die Disziplin der Gruppendynamik versteht sich als Beitrag zur Aufklärung, der aktuell nötiger scheint denn je. Sie will den Menschen dazu ermutigen, sich seine eigenen Gedanken über die gegenwärtigen Verhältnisse zu machen, in denen man steckt, und diese adäquat zum Ausdruck bringen zu können.
Darüber hinaus erweisen sich gruppendynamische Kompetenzen als wirksames Mittel in der Ausbildung zu Berufen, die in besonderem Maße auf das soziale Geschehen Einfluss nehmen: In Pädagogik, Erwachsenenbildung, Training, allen Formen von Führung und Leitung, Projektmanagement, Mediation, Konfliktberatung und Organisationsberatung gehört das Verständnis sozialer Prozesse und ihrer Gestaltung zu einer zentralen Kompetenz der Akteure. In all diesen Feldern sind Gruppendynamiker*innen tätig und für all diese Felder bietet die Gruppendynamik wertvolles Knowhow und Qualifizierung an.