Erinnerungen – in geistiger oder materieller Form – sind das, was bleibt von Menschen. Erinnerungen erzählen Geschichten, die Seelennahrung für die Menschen unserer Welt sind. Hier ist Raum für Erinnerungen an Jürgen Pelikan:
Erinnerungen – in geistiger oder materieller Form – sind das, was bleibt von Menschen. Erinnerungen erzählen Geschichten, die Seelennahrung für die Menschen unserer Welt sind. Hier ist Raum für Erinnerungen an Jürgen Pelikan:
In Trauer geben wir bekannt, dass Jürgen Pelikan am Abend des 11.Februar 2023 im 84. Lebensjahr zu Hause im Kreis seiner Familie verstorben ist.
Jürgen war Soziologe, Systemtheoretiker, Gesundheitssystemforscher, Organisationssoziologe, Gruppendynamiker und Organisationsentwickler. Lange Zeit leitete er als Universitätsprofessor das Institut für Soziologe der Universität Wien und das Ludwig Boltzmann Institut für Medizin und Gesundheitssoziologie (LBIMGS), das später in das Ludwig Boltzmann Institut für Gesundheitsförderungsforschung (LBIHPR) übergeführt wurde. Bis zuletzt leitete er im Rahmen der Gesundheit Österreich GmbH das WHO-Kooperationszentrum und war Scientific Chair der Konferenzen des Internationalen Netzwerkes Gesundheitsfördernder Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen.
Noch bis wenige Tage vor seinem Ableben arbeitete er intensiv an einem großen internationalen WHO Projekt zur Gesundheitskompetenz und dessen Publikation. Von Kolleg*innen aus der Gesundheitsforschung und der Soziologie wird, in Abstimmung mit Jürgens Frau, Universitätsprofessorin Marina Fischer-Kowalski, für Herbst 2023 eine Veranstaltung zur Würdigung von Jürgen Pelikans Beiträgen in Forschung, Lehre und gesellschaftlicher Praxisanwendung vorbereitet.
In der ÖGGO war Jürgen seit den späten 80er Jahren Mitglied und Lehrtrainer. Als Jürgen zur ÖGGO kam war er aber längst Gruppendynamiker, sozialisiert im ÖAGG, wo er mehrere Jahre an den legendären Alpbach-Seminaren mitwirkte. Als Verantwortlicher für die Führungskräfte-Ausbildung an der Verwaltungsakademie des Bundes kam Jürgen Anfang der 1980er Jahren in einen intensiven Kooperationskontakt mit einer Reihe von ÖGGO-Mitgliedern. In diesem Kontext sind tiefe Freundschaftsbeziehungen gewachsen, die ihn letztlich bis zu seinem Lebensende begleitet haben.
Jürgen Pelikan hat eine psychoanalytische Lehranalyse absolviert und war affiliiertes Mitglied der Wiener psychoanalytischen Vereinigung. In diesem Zusammenhang hat er jahrelang an den gruppentherapeutischen Seminaren in Altaussee mitgewirkt. Sein besonderes Interesse galt jedoch sowohl praktisch als auch in der Theoriebildung der Gruppendynamische Trainingsgruppe. Für deren systemtheoretische Begründung verfasste er eine Reihe von vielzitierten Publikationen. Als Trainer für T-Gruppen arbeitete er über Jahrzehnte im „Hernstein-Staff“ (Hernstein International Management Institut/ Wien) sowie, zusammen mit Roswita Königswieser, am Gottlieb Duttweiler Institut/Zürich („Gruppendynamit“). Am Institut für Soziologie der Universität Wien hat er ein regelmäßiges Angebot für GD-Seminare aufgebaut.
Die Welt verliert einen stets wachen und kritischen Denker, einen großen und angesehenen Forscher, einen innovativen Organisationsforscher und -berater, einen inspirierenden Gruppendynamiker, einen den Menschen Zugewandten, einen erfrischend humorvoll Selbstreflektierten.
Unser ganzes Mitgefühl gilt seiner Familie, insbesondere seiner Frau Marina, seiner Tochter Johanna und seiner Enkelin Louise.
Jürgen fehlt uns. Wir verabschieden uns in tiefer Trauer und Dankbarkeit von unserem Mentor, Kollegen, Wegbegleiter und guten Freund.
LINK zum Nachruf des Instituts für Soziologie In Memoriam Jürgen M. Pelikan (21.1.1940 – 11.2.2023) (univie.ac.at)
Es ist einfach nur traurig, wenn so wertvolle Menschen von uns gehen. Sie werden gebraucht mit ihrer Vitae, ihrer Klugheit und Empathie.
Jürgen, Du warst für mich einer der ganz großen in unserer Szene. Ich verbinde sehr viele, kleine und auch schöne Begegnungen mit Dir und ich werde Dich als einen wichtigen Lehrmeister in Erinnerung behalten.
Ich habe nachgedacht was ich mit Dir verbinde und da ist mir Bismarck in den Sinn gekommen:
„Können ist das Produkt aus Talent und Fleiß. Charakter ist Talent minus Eitelkeit.“
Jürgen, Du warst für mich, eine dieser eher seltenen Kombinationen aus Können und Charakter.
Ich habe Jürgen viel zu verdanken. Ich durfte als junge Beraterin unter seiner Gesamtleitung im WHO Projekt Gesundes Krankenhaus in der Krankenanstalt Rudolfsstiftung arbeiten. Ich habe Jürgen in diesem großem Projekt als sehr umsichtig und kompetent erlebt. Es wurde durch ihn mein Interesse an OE im Krankenhaus geweckt. Daraus resultierte meine Tätigkeit als Personalleiterin in der Generaldirektion des Wiener Krangenanstaltenverbundes (heute WIGEV) und in weiterer Folge viele weitere Projekte und Lehrtätigkeiten im Gesundheitswesen.
Jürgen war für mich ein inspirierender Lehrmeister. Ich werde ihn vermissen!
Welch wunderbare, fröhliche, tiefgehenden und inspirierenden Erfahrungen durfte ich mit Jürgen erleben, so viele Jahre kooperieren und freundschaftlich verbunden sein. An der Verwaltungsakedemie begann diese Verbundenheit, wie gerne fuhr ins SChloss Laudon, wo wir gemeinsam mit Rudi den Führungskräftelehrgang konzipiert und durchgeführt haben, besonders in Erinnerung bleibt die Sommerakademie mit Roswitha, Trigve Johnstadt, Leo Bernardis – eine wilde und zugleich harmonische Konstelation. Mit Jürgen konnte man sich „ungschaut“ auf unbekanntes Terrain begeben und experimeniteren – was ihm aus seiner gelebten Verknüpfung der Soziologie, der Systemtheorie, der Gruppendynamik – sowohl der ÖAGG-„Schule“ als auch der ÖGGO, mit seinem psychoanalytischen Blick da immer einfiel, war schlicht faszinierend. Sein Humor, seine feine Ironie war immer von Liebe getragen, das hat so gut getan.
Und besonders dankbar bin ich auch, dass ich/wir Jürgen mit Marina immer wieder – in den letzten Jahren bei wunderbaren Abenden mit Roswitha und Reinhard erleben durfte.
Jürgen Pelikan war für meine berufliche und persönliche Entwicklung ein sehr bedeutsamer- im Rückblick unersetzlicher – Lehrmeister, Kooperationspartner, Auftraggeber, Fachkollege, und Freund. Die Erinnerung an unsere Beziehung lässt viele Erfahrungen, wegweisender und beglückender Kooperationen auferstehen. Lustvolles Nachdenken, gemeinsam etwas organisatorisch und politisch in die Welt zu bringen, Erfolge und Misserfolge zu reflektieren und auch streng zu evaluieren, wichtige Erkenntnisse publizistisch umzusetzen .
Eine der großen Stärken von Jürgen war es- neben seiner intellektuellen Brillianz, seiner charakterlichen Festigkeit, seiner herzlichen Ausstrahlung und Sensibilität, seinem Humor- Kontexte zu schaffen, in denen sehr viele Weggefährten die Möglichkeit erhielten grundlegende professionelle Entwicklungsschritte zu gehen, persönlich zu wachsen, Bündnisse und Vernetzungen zu finden und somit über die Möglichkeit engagierter Mitarbeit auch persönlich zu profitieren; Projekte ,Pilotversuche, Institute, Arbeitsschwerpunkte. Jürgen war dabei nicht nur markanter Gründer sondern auch Leitungsfigur und Exponent. Viele dieser Gründungen und Arbeitszusammenhänge wurden hier in den Nachrufen schon genannt.
Das Kraftfeld unserer Kooperation war die Gesundheitsförderung, ihre sozialwissenschaftlich und sytemtheoretische Grundlegung , ihre organisatorische Ausdifferenzierung und Anwendung in der Perspektive der Gesundheitswissenschaften und der Organisationsentwicklung. Vieles davon in enger Kooperation mit der WHO Europa. Der Settingsansatz in der Gesundheitsförderung ( Healthy Cities, Gesundheitsförderliches Krankenhaus, gesunde Gemeinden und Schulen, gesundheitsförderliche Betriebe..) wurde wesentlich von österreichischen Experten*innen und Instituten geprägt; mit Jürgen an der Spitze. Die Nachhaltigkeit seiner Arbeit, mit Umsicht ,Ausdauer, Unermüdlichkeit, dauerhafter Bereitschaft Verantwortung zu tragen, war herausragend.
Es war für mich ein sehr wichtiger und bewegender Moment, mich im Rahmen meiner Feier zum Abschied von der Universität bei Jürgen und vielen seiner Mitarbeiter*innen zu bedanken und zu verneigen.
Dankbarkeit und Trauer sind groß
Abschied 2.0
„Trauerarbeit ist Arbeit!“- daran hat mich Jürgen Pelikan einmal aus gegebenem Anlass erinnert – das muss Ende der 80er- oder Anfang der 90er-Jahre gewesen sein, als wir an der Verwaltungsakademie des Bundes im Schloss Laudon mit Führungskräften gearbeitet haben.
Es fällt mir nicht leicht, all dem, was schon gesagt und geschrieben wurde, etwas hinzuzufügen und doch hoffe ich, dass diese Arbeit hilft, Abstand zu gewinnen.
Den jeweils richtigen Abstand zum Gegenüber zu finden, diese Distanz offen und respektvoll zu kommunizieren, zu halten und erst dann zu verändern, wenn es angemessen erschien – das war eine der vielen eleganten Gratwanderungen, die ich oft an Jürgen Pelikan beobachten konnte.
Seine psychoanalytische Erfahrung hat vor allem in kollegialen Gesprächen eine wichtige Rolle gespielt – da konnte sich auch zeigen, wie sehr er sich der Psychoanalyse immer noch verbunden fühlte.
Abgrenzung und Distanzierung hatten dann die Funktion, gemeinsam den für die nächste Intervention richtigen Standpunkt zu entwickeln – vorausgesetzt, dass im Dialog sowohl blinde Flecken als auch unbewusste Motive deutlich(er) werden konnten. Das hat uns in der gemeinsamen Arbeit immer fasziniert.
In der ÖGGO hat Jürgen Pelikan auf Grund seiner vielseitigen Vernetzungen – auf wissenschaftlicher, auf politischer und auf persönlicher Ebene – schon bald als Mitglied im ersten Ausbildungsausschuss Nachhaltiges beitragen können. Die Einrichtung dieses Gremiums und die auf Augenhöhe verhandelte Trennung der Aufgaben von Vorstand und Ausbildungsverantwortung hat sich auf das Organisationsverständnis mancher Gruppendynamiker*innen positiv ausgewirkt.
Jürgen Pelikan hat der ÖGGO Niklas Luhmann nahe gebracht: seine Publikationen und ihn selbst als anregenden Diskussionspartner. Als wahren Kunststück der in dieser Zeit entwickelten „Systemischen Beratung“ konnte die Arbeit in der Rudolfstiftung (WHO-Projekt „Gesundes Krankenhaus“) bezeichnet werden:
Hier konnte man Jürgen Pelikan als weitsichtigen wissenschaftlichen Leiter, als hervorragend organisierten und zugleich umsichtigen Manager und – last but not least – als Auftraggeber für viele Kolleg*innen erleben – zahlreiche ÖGGO-Mitglieder waren da im Einsatz. Die Distanz zwischen ihm und mir wurde in diesem Projekt größer, das Vertrauen ebenfalls.
In der ÖGGO hat sich Jürgen Pelikan in den letzten Jahren rar gemacht, damit aber auch gezeigt, wie wichtig es ist, zu jüngeren Kolleg*innen Schritt für Schritt mehr Abstand zuzulassen und ihnen damit neue Räume freizugeben.
Wenngleich uns in den letzten Jahren keine gemeinsamen Projekte mehr verbunden haben, erinnerte ich mich nicht nur gerne an die Zeit unserer Kooperationen – ich habe mich immer wieder gefreut, wenn wir uns getroffen haben, u.a. in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung, deren affiliierte Mitglied er war und geblieben ist.
Mir hat diese post-professionelle Freundschaft auf Abstand gut getan – da gab es in jedem Gespräch wieder Vertrautes aus der Vergangenheit, Ähnlichkeiten bei Gedanken zur Gegenwart und Denkanstöße zur Zukunft – das wird mir fehlen.
Was mir und vielen anderen bleiben wird, ist dankbare Erinnerung – wobei der Abstand mit der Zeit größer wird. Beim Schreiben wird der Nachlass an Spuren und Prägungen deutlicher – selbst wenn die Bilder langsam verblassen und verschwinden.